Impresiones columbianas 
                – das etwas andere Praktikum in Kolumbien 
             
            Ein Bericht von Christine Tschochohei 
              (Mai 2003)  
            Von März bis Mai 2003 habe ich an der „Escuela 
              Normal Superior María Auxiliadora“ in Copacabana, Kolumbien, 
              mein Praktikum in den Erweiterungsstudiengängen „Sonderpädagogische 
              Frühförderung“ und „Sondedrpädagogische 
              rhythmisch-musikalische Erziehung“ absolviert und habe dabei 
              auch im „Patio 13 – Schule für Strassenkinder“-Projekt 
              der PH-Heidelberg in Medellín Erfahrungen gesammelt. Es war 
              eine Zeit voller Eindrücke, die ich so schnell nicht vergessen 
              werde.  
              
            Die Schule  
              Die „Escuela Normal Superior María Auxiliadora“ 
              versucht möglichst Bildung für alle zu bieten: von der 
              Vorschule bis zur Lehreraus- und weitertbildung findet hier alles 
              statt, dabei wird überdiesdie Integration von Kindern verschiedenartigster 
              Beeinträchtigungen verwirklicht.  
               
              In Kolumbien spricht man von "Kindern mit Bedürfnissen 
              nach besonderen Erziehungsmaßnahmen” („niños 
              con necesidades educativas especiales“ – kurz: „nee“), 
              die normalerweise in die Regelschulen integriert sind. An der Normal 
              liegt die Klassengröße zwischen 56 und 61 Schülern, 
              von denen i. d. R. 3 bis 5 Kinder auffällig sind.  
               
              Zur Zeit gehen hier 26 Kinder mit Behinderungen zur Schule, darunter 
              geistig behinderte, entwicklungsverzögerte, körperbehinderte, 
              sehbehinderte und sprachbehinderte Kinder. 
               
              Speziell für ihre Belange und die Belange ihrer Eltern ist 
              die „maestra integrada“ zuständig, bei uns würde 
              man von einer Integrationshelferin oder Sonderpädagogin sprechen, 
              die einen eigenen Raum, die „Aula de Apoyo“ mit reich 
              ausgestattetem Materialraum, zur Verfügung hat, um mit den 
              Kindern einzeln oder in Kleingruppen zu arbeiten bzw. Elterngespräche 
              zu führen. Ferner steht den Kindern, Eltern und Kollegen eine 
              fest angestellte Schulpsychologin zur Verfügung, die v.a. mit 
              der „maestra integrada“ eng kooperiert. 
              
              
              Nach dem Abitur ist es den Lehramtsstudenten möglich, in Kooperation 
              mit der „Universidad de Antioquia“ in Medellín 
              das Grundstudium an der Normal zu absolvieren. 
               
              Die Streuung der Alters- und Bildungsniveaus an der Normal ist demzufolge 
              sehr groß, entsprechend weit gefächert sind die Bedürfnisse 
              und Kapazitäten der Schüler, denen das Bildungsangebot 
              an der Normal gerecht werden muss. Da ich sowohl in der „Aula 
              der Apoyo“ mit den allerjüngsten und behinderten Schülern 
              und Schülerinnen, im Unterricht mit den Mittel- und Oberklassen 
              als auch im Patio 13-Projekt und im Zusammenleben (Schulmensa, Gastfamilie 
              und private Kontakte) mit den Studentinnen in Berührung kam, 
              konnte ich einen relativ tiefen Einblick in das Bildungssystem, 
              das Bildungsniveau und das Bildungsverständnis in Kolumbien 
              bekommen.  
            Bildung 
              Für ein südamerikanisches Land scheint mir das Bildungsniveau 
              Kolumbiens vergleichsweise hoch. Bildung ist auch hier nicht nur 
              ein Grundrecht für alle, es besteht sogar eine neunjährige 
              Schulpflicht (bis vor kurzem galt sie nur für fünf Jahre). 
              Die Klassen 10 und 11 und der „bachillerato“ (Abitur) 
              können auf weiterführenden Schulen absolviert werden. 
              Der „bachillerato academico“ ist wie das Abitur die 
              Eintrittskarte für die Uni. Dennoch ist längst nicht jedem 
              kolumbianischen Kind eine adäquate Schulbildung vergönnt. 
               
              Wie ich bald bei einem Gesprächstermin in der„Secretaria 
              de Educación y Cultura de Antioquia“, der zentralen 
              Stelle für Bildungsfragen im Departamento Antioquia, herausfand, 
              ist das mit den Gesetzen in Kolumbien so eine Sache für sich… 
               
              Ich erfuhr hier, daß in Kolumbien die Integration behinderter 
              Kinder in die Regelschule per Gesetz vorgeschrieben ist. (Es gibt 
              ja auch nur diesen einen „currículo“, in den 
              jeder einzelne mit all seinen individuellen Bedürfnissen und 
              besonderen Fähigkeiten hineinzupassen hat.) Dies stellt natürlich 
              an die Regelschullehrer – meist ohne jegliche zusätzliche 
              sonderpädagogische Ausbildung - vor einer Klasse mit 60 Schülern 
              vor besondere Anforderungen, denen sie verständlicherweise 
              leider oft nicht gewachsen sind. 
              
               
             
            Abgesehen von der Überforderung der Lehrer 
              ist diese Art der Integration nun aber in vielen Fällen ohnehin 
              nicht möglich, z.B. im Falle eines schwerstmehrfachbehinderten 
              oder stark sinnesbehinderten Kindes. Oder was passiert mit den Kindern, 
              die in nahezu allen Lebensbereichen auf Unterstützung angewiesen 
              sind? Für sie bietet der Staat weder Möglichkeiten der 
              Bildung noch sozial-pflegerische geschweige denn finanzielle Unterstützung. 
               
              Jedoch gibt es verschiedene professionelle, meist kirchlich unterstützte 
              private Einrichtungen, ONG („Organizaciones Non Gobernales“) 
              genannt, die sich dieser Behindertengruppe annehmen. Diese reichen 
              aber bei weitem nicht aus, um den Bedarf zu decken, und in vielen 
              dieser Schulen ist z.B. die Transportfrage ungeklärt, da Schulbusse 
              und Personal hierfür nicht zur Verfügung stehen. So leben 
              viele Kinder, die nicht die Möglichkeit haben, solche Einrichtungen 
              zu besuchen, ohne jede pädagogische Intervention zu Hause und 
              werden von der Familie gepflegt. Der Vater ist in diesen Fällen 
              alleiniger Versorger der Familie – der Familie mit einem behinderten 
              Familienmitglied und seinen besonderen, auch materiellen Bedürfnissen 
              (Rollstuhl etc.). Selbst wenn die Eltern als Versorger ausfallen, 
              gibt es keine staatliche Subvention für einen Behinderten, 
              der nie gearbeitet hat, der nie eine angemessene Schulbildung, geschweige 
              denn eine behindertengerechte Ausbildung genossen hat, und der nirgends 
              einen behindertengerechten Arbeitsplatz finden kann. So etwas wie 
              eine Beschäftigungspflichtquote, Kündigungsschutz und 
              behindertengerechte Arbeitsplätze kennt man in Kolumbien nicht. 
            So stellt sich die integrative Bildungspolitik 
              natürlich selbst in Frage. Integration oder Diskrimination? 
              Versteckt sich hinter Sozial- nicht doch eher knallharte Finanzpolitik? 
              Überdies frage ich mich, ob die schulische Integration, da 
              wo sie scheinbar funktioniert (z.B. in der Normal in Copacabana) 
              für die behinderten Kinder auch noch irgendeinen anderen Vorteil 
              hat als die soziale Integration. Böse gefragt: Wozu Schulbildung, 
              wenn der geistigbehinderte Erwachsene überhaupt nicht die Möglichkeit 
              hat, eine seinen Fähigkeiten entsprechende Arbeit zu finden? 
              Noch böser: Wozu Bildung, wenn diese nie gebraucht wird und 
              zwangsläufig wieder “verkümmern” muß? 
              Muß ein Kind, das nie die Chance bekommt, selbständig 
              zu sein, lernen, selbständig zu leben? So überspitzt betrachtet, 
              ist diese „Integration“ ja schon fast sadistisch. Jedenfalls 
              ist klar: Hier geht es nur um finanzielle Interessen. 
               
              Dafür spricht, daß die behinderten Kinder i. d. R. die 
              Klassen nicht wiederholen müssen und auch keine Prüfungen 
              zu machen brauchen. Sie sitzen eben da und machen mit – oder 
              auch nicht…, zumindest, bis sie ihrer Schulpflicht nachgekommen 
              sind. 
               
              Was passiert danach, und was passiert mit den vielen anderen Behinderten, 
              die durch das Netz der Integration durchfallen? Die Antwort liegt 
              auf der Hand – viele Bettler oder Strassenkinder sind behindert. 
              Oft sieht man Mütter ihre fast erwachsenen behinderten Töchter 
              und Söhne in einem alten, verbogenen Kinderwagen durch die 
              Strassen fahren auf der Suche nach „Mitleid“. Auch im 
              Patio 13 gibt es Kinder mit den vielfältigsten Behinderungen. 
             
            Bildung wird als Tor zu Ansehen, Wohlstand und 
              Etikette erachtet. Sie ist nach wie vor ein hochgeschätztes 
              Privileg. Für die einen bedeutet sie die Chance auf ein besseres 
              Leben, für die anderen ist sie bereits Statussymbol. Mittel- 
              und Oberschichteltern schicken ihre Kinder in Privatschulen. Zumindest 
              in den Städten ist das so. Anders, wenn man beispielsweise 
              ein paar Kilometer aus Medellín rausfährt - in die Gegenden, 
              wo auch einige der im Patio anzutreffenden Strassenkinder herkommen: 
              Trotz „vor-bildlicher“ Gesetze ist das Bildungssystem 
              in den ländlichen Gebieten eben auch nur rudimentär. So 
              liegt der Anteil von Analphabeten unter den Afrokolumbianern und 
              indigenen Gruppen weit über dem Landesdurchschnitt von 12%. 
               
               
              Von der wirtschaftlichen und sozialen Seite her verständlich, 
              denn während in den Städten der moderne Fortschritt Einzug 
              hält (bspw. die Metro in Medellín, etliche Banken, Universitäten… 
              ), scheint auf dem Land die Zeit stehengeblieben zu sein. Die Landbevölkerung 
              lebt ganz einfach von der Subsistenzwirtschaft, das heißt 
              von dem, was die Natur hergibt. Dadurch wird die Grundversorgung 
              der Familie gesichert – von Generation zu Generation. Die 
              Verelendungstheorie der Großstädte trifft hier also nicht 
              zu. Im Gegensatz zu Europa ist in vielen abgelegenen Regionen Kolumbiens 
              ein Leben mit geringster Schulbildung und geringsten Geldmitteln 
              noch möglich.  
               
              Durch den Bürgerkrieg werden jedoch viele Bauernfamilien aus 
              diesem natürlichen Gefüge herausgerissen. Sie werden brutal 
              vertrieben (viele Familien verlieren dabei ihre Väter), müssen 
              in die Städte fliehen und finden sich dort meist der Verelendung 
              ausgesetzt.  
            Verelendung 
              57% der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze. Aussagekräftige 
              Arbeitslosenzahlen scheint es in Kolumbien nicht zu geben - die 
              geschätzte Quote liegt bei 20% der wirtschaftlich aktiven Bevölkerun. 
              Doch selbst von denen, die das Glück haben, beschäftigt 
              zu sein, müssen Millionen mit dem Mindestlohn auskommen, der 
              nur US$200 beträgt und kaum für eine dreiköpfige 
              Familie reicht, und viele verdienen sogar noch darunter. Die Slumgürtel 
              um die großen Städte wachsen stetig. Die Armut spiegelt 
              sich hier wider in mangelnder Wasserversorgung und fehlenden sanitären 
              Anlagen, in einer unkontrollierten Geburtenrate, fehlender Bildung 
              und Arbeitslosigkeit. Oft sind die Eltern gezwungen, ihre Kinder 
              auf die Straße zu schicken, um zum Lebensunterhalt der Familie 
              beizutragen – auf welche Weise auch immer. Viele Familien 
              zerbrechen angesichts der ausweglosen Situation, in der sie sich 
              befinden: es kommt zu Drogenabusus, Prostitution, Gewalt in den 
              Familien, ungewollte Schwangerschaften etc.. So gehen viele Kinder 
              auch auf die Straße, um sich von der Familie zu lösen, 
              da die Situation zuhause für sie unerträglich geworden 
              ist. Sie begeben sich jedoch weiterhin in eine Atmosphäre von 
              Gewalt und Kriminalität und in ständige Lebensgefahr. 
             
               
            Im Patio 13 
              Im Patio Don Bosco in Medellín sollen Strassenkinder die 
              Möglichkeit haben, in einem von der Strasse abgeriegelten Schutzraum 
              einen geregelten Tagesablauf, eine warme Mahlzeit, Anregungen und 
              Aufgaben und vor allem auch Schulbildung zu erfahren. Während 
              wir über ein passendes Bildungsangebot für den Patio nachdenken, 
              müssen wir uns mit all den eben beschriebenen Erfahrungshintergründen 
              bzw. der jetzigen Lebenssituation der Kinder und ihren Folgen auseinandersetzen. 
               
               
              Die Welt außerhalb des Patio ist gekennzeichnet durch: 
              · pädagogische Anregungsarmut: kein kindgerechtes Umfeld 
               
              · durch Vertreibung ständig wechselnden Standort, Entwurzelung, 
              soziale Deprivation: Wo findet das Kind Stabilität, wie baut 
              es Urvertrauen auf? 
              · zwar Solidarität als Überlebensstrategie, aber 
              emotionale Kälte 
              · Exhibitionismus und Prostitution 
              · Ernährungsmängel: ungesunde Ernährung bzw. 
              Unterernährung 
              · Hygienemängel 
              · Drogen 
              · mangelnde Kleidung, Decken etc. 
              · Gewalt, Kriminalität, Gefahr 
              · u.v.m. 
               
              Die psychische Belastung der Kinder ist immens. Jeder der im Patio 
              anzutreffenden Strassenjungen hat seine eigenen Traumata, denen 
              nur mit professioneller psychologischer Unterstützung beizukommen 
              ist, und womit wir als Pädagogen sicherlich überfordert 
              sind. Aufgrund der Umstände, in denen die Kinder auf der Straße 
              groß werden, sind aber auch Entwicklungsdefizite sowohl im 
              geistigen und körperlichen, als auch im seelischen Bereich 
              zu verzeichnen, die wir in unserer Pädagogik berücksichtigen 
              können und müssen. So können wir im Patio den Kindern 
              ein vertrautes, vorhersehbares und verstehbares Umfeld schaffen, 
              das ihnen Sicherheit und (Selbst-)Vertrauen gibt. Während sie 
              ihr Leben lang auf Situationen treffen mussten, die ihre Bewältigungskapazitäten 
              überforderten, können wir ihnen im Patio im Sinne einer 
              Entwicklungsförderung auf ihre jeweilige Entwicklungsstufe 
              abgestimmte Umweltsituationen bieten. - im Patio soll jedes Kind 
              Kind sein dürfen. 
               
              Eben dies konnte ich bereits bei meinem ersten Besuch im Patio beobachten: 
              Kinder kamen auf uns Studenten zu gerannt (auch auf mich, die sie 
              gar nicht kannten) und suchten sofort Kontakt, auch Körperkontakt. 
              In einer Traube „hingen“ fünf bis sieben Kinder 
              förmlich an mir, und jeder versuchte durch sanftes Puffen, 
              Zerren oder Ankuscheln meine ungeteilte Aufmerksamkeit zu erheischen. 
              Dabei redeten alle durcheinander auf mich ein. Unvorstellbar für 
              mich, dass diese Kinder erstens Jungen, zweitens durchschnittlich 
              12 Jahre alt, drittens Strassenkinder (die ich mir „erwachsener“ 
              und distanzierter vorgestellt hatte) und viertens absolut Fremde 
              waren. Viele sahen auch körperlich sehr viel jünger aus, 
              klein und schwächlich, andere zeigten in ihrer körperlichen 
              und geistigen Entwicklung aberwitzige Widersprüche. Ich war 
              zugegebenermaßen etwas verwirrt, als der ca. 1,70 m große 
              (Kolumbianer!) 17jährige Edison mit seinem „Men’s 
              Health“-Körper beim Malen seinen Kopf an meinen nackten 
              Arm kuschelte. Das war nicht schmierig, das war einfach kindlich. 
             
            Was mich auch sehr überraschte, war das ausgesprochen 
              gute Sozialverhalten der Jungen, obwohl sie doch den rauhen Alltag 
              auf der Strasse im Grunde nur mit spitzen Ellbogen bewältigen 
              können – oder vielleicht gerade deshalb? Einer alleine 
              ist nicht stark genug, um überleben zu können, Solidarität 
              zählt zu den wichtigsten Lebensmaximen auf der Strasse. Wer 
              keine Bande findet oder ausgestossen wird, hat kaum eine Chance. 
               
               
              Das kann man im Patio deutlich spüren, auch wenn die Situation 
              hier anders und entspannter ist, da es nicht ums Überleben 
              geht. Die Kinder behandeln sich mit Respekt, klammern sich aber 
              nicht aneinander. Wer sich nicht leiden kann, geht sich aus dem 
              Weg. Es gibt keine Außenseiter, es gibt auch keinen Bandenchef. 
              Die Schwächeren sind in diesem lockeren Gefüge voll eingebunden 
              und werden ebenso akzeptiert wie die Älteren und Stärkeren. 
              Ich konnte das bei dem taubstummen Mauricio beobachten, mit dem 
              trotz seiner Behinderung rege kommuniziert wurde. Die Kinder wussten 
              genau, wie sie ihm ihre Botschaft verdeutlichen konnten und halfen 
              mir ganz selbstverständlich bei meinen etwas hilflosen Kommunikationsversuchen. 
              Oder auch der kleine, stark entwicklungsverzögerte und sprachbehinderte 
              John Fredy schien unter seiner körperlichen und sprachlichen 
              Schwäche nicht leiden zu müssen. Gerade in diesem sozialen 
              Umfeld hätte es mich nicht gewundert, wenn es anders gewesen 
              wäre. Aber sie sind es eben vielleicht einfach gewohnt, zusammenhalten 
              zu müssen.  
            Dieses korrekte Sozialverhalten ist gleichfalls 
              eine besondere Art der Disziplin, die im stark ritualisierten Alltag 
              des Patio eine ganz große Rolle spielt. Wir konnten z.B. öfter 
              das beinahe militärische Ritual beobachten, das sich vor und 
              während des gemeinsamen Mittagessens vollzieht. Die Betreuer 
              legen großen Wert darauf, daß Regeln strikt befolgt 
              werden, und sie begründen dies mit dem Angebot von Orientierung 
              und Stabilität. Dennoch fühlte ich mich bei dieser Art 
              des „Sich-das-Mittagessen-Verdienens“ jedes Mal sehr 
              unwohl. So sehr es mich jedoch auch schockte, diese seltsame Zeremonie 
              zu sehen (in Reihen hinter dem jeweiligen Reihenchef aufstellen 
              und im Chor die vorgegebenen Antworten brüllen), konnte ich 
              aber auch beobachten, daß den Kindern diese Situationen tatsächlich 
              wichtig sind, sie sich diese Regeln, dieses „Sich nach etwas 
              richten müssen“ auch ein Stück weit einfordern. 
               
               
              Die Disziplin im Patio bekommen wir v.a. im Unterricht positiv zu 
              spüren. Obwohl man als Lehrer hier im Vergleich zu einem normalen 
              Klassenzimmer mit weitaus mehr Ablenkern konkurrieren muß, 
              hören die Jungen fast aufmerksamer zu als die Schüler 
              in der Schule. Mit großem Interesse wird experimentiert, geraten, 
              nachgefragt. Die Aufmerksamkeitsspanne ist zwar recht bald erschöpft, 
              jedoch wird innerhalb dieser Spanne sehr intensiv und gewinnbringend 
              gearbeitet. Mir scheint, die Jungen freuen sich sogar auf jedes 
              weitere Mal. Dabei freuen sie sich sicherlich nicht nur darauf, 
              etwas lernen zu können – die damit verbundenen Zukunftschancen 
              haben sie sehr wohl begriffen -, sie freuen sich wohl am meisten 
              auf die Zuwendung, die sie dadurch erfahren.  
            Das Wichtigste für mich… 
              Trotz einiger Widersprüche, auf die ich in Kolumbien gestoßen 
              bin – ich könnte in politisch und gesellschaftlicher 
              Hinsicht noch etliche aufzählen –, habe ich die Zeit 
              dort sehr genossen und sie nicht nur in fachlicher Hinsicht als 
              gewinnbringend erlebt. Abgesehen davon, daß man erst durch 
              die Erfahrung von Abweichungen Althergebrachtes wirklich reflektiert, 
              über Sinn- und Zweckhaftigkeit nachdenkt, habe ich sehr wichtige 
              zwischenmenschliche Erfahrungen machen können. Ich kann ohne 
              jeden Schmalz behaupten, daß ich mich während aller meiner 
              Praktika noch nie in einem Kollegium und auch bei den Schülern 
              so angenommen und geschätzt, menschlich so unterstützt, 
              kurz so wohl gefühlt habe. Ich wünschte mir wirklich auch 
              hier in Deutschland in solch einer Atmosphäre von gegenseitigem 
              Respekt und Anerkennung auch und v.a. zwischen Schülern und 
              Lehrer bzw. zwischen Kind und Erwachsenem unterrichten zu können! 
             
            
            
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