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Cinco meses en Colombia

Bericht über den Auslandsaufenthalt in Kolumbien
von Cornelia Korsch (April 2005)

Wieso gerade Kolumbien und dann auch noch ausgerechnet Medellin? Diese Frage wurde mir während der Vorbereitung meines Auslandssemesters im letzten Jahr öfters gestellt. Ja das stimmt, diese Stadt hat den Ruf von Gefahr, Gewalt und Drogenhandel und ist nicht gerade ein beliebtes Urlaubsziel. Aber Medellin wird auch nicht umsonst die Stadt des ewigen Frühlings genannt. Denn nicht nur die tropische Vegetation, sondern auch die Ausstrahlung und Lebensfreude vieler Menschen lässt Frühlingsgefühle aufkommen. Heute weiß ich, Medellin ist eine Stadt mit vielen Gesichtern- eine Stadt, die lebt!

Im vergangenen Wintersemester hatte ich die Möglichkeit im Projekt Patio 13 in Medellin Straßenkinder zu betreuen. Ich war mit drei weiteren Studentinnen dort, und wir haben uns sehr motiviert in unsere Arbeit mit den Straßenkindern gestürzt. Allerdings mussten wir recht bald feststellen, dass wir Herausforderungen gegenüber standen, mit denen wir nicht gerechnet hatten.

"Patio 13" ist ein Zufluchtsort für Jungen zwischen 6 und 17 Jahren, die auf der Straße leben. Diejenigen, die regelmäßig in den Patio kommen, haben die Chance später eine Schul- und Berufsausbildung zu erlangen. Das Projekt ist sozusagen ein Sprungbrett in eine andere Welt - in eine Zukunft. Aber nicht alle der Jungen wagen diesen Sprung und schaffen es dann durchzuhalten. Denn in eine Organisation wie den Patio zu gehen, bedeutet für diese Kinder einen Teil ihrer Freiheit aufzugeben und keine Drogen mehr zu nehmen. Aber sie sind Kinder der Straße, im rechtlichen Sinne Kinder, im Inneren jedoch schon lange erwachsen. Viel zu früh waren viele von ihnen Armut, Gewalt oder Missbrauch innerhalb der Familie ausgesetzt.

Auf der Straße haben sie ihre Identität geformt. Ganz auf sich alleine gestellt haben sie in dieser Welt gelernt sich zu verteidigen und eigene Entscheidungen zu treffen, um den nächsten Tag zu überleben.

Wir sind nach Medellin gekommen um mit diesen Straßenkindern eine Homepage zu gestalten. Wir wollten ihnen die Möglichkeit geben, etwas aus ihrem Leben mitzuteilen und Teile ihrer eigenen Lebensgeschichte aufzuschreiben. Jedes Kind sollte seiner Kreativität freien Lauf lassen und sich nach eigenen Wünschen anhand von Bildern, Texten oder Ähnlichem selbst präsentieren. Wir konnten ihnen so die Chance geben zu berichten, was ihnen wirklich wichtig ist.

Wenn ich mir jetzt ihre "historias" (Geschichten) durchlese, kann ich mir jeden der Jungen genau vorstellen und weiß wie es war mit ihm zu arbeiten. Jeder hatte sein eigenes Tempo und seine eigene Art. Manchen waren die Farben sehr wichtig, andere konnten ohne ihre Lieblingsmusik nicht arbeiten. Manche saßen da und haben einfach drauflos geschrieben, andere haben viel länger nachgedacht... Jeder hat diese Aufgabe auf seine Art gemeistert, nach seinem eigenen Können und seiner Persönlichkeit. Letztendlich waren sie alle stolz auf ihre eigenen Texte. Wir konnten ihnen mit dieser Homepage helfen sich wertgeschätzt und nicht “wegwerfbar“ zu fühlen und dadurch ihr Selbstbewusstsein stärken.

Mit ihnen zu arbeiten war aber oft auch eine Herausforderung, da die Jungen nicht regelmäßig in den Patio kamen. Die Teilnahme war freiwillig und sie hatten deshalb manchmal einfach keine Lust oder mussten noch ihren Drogenrausch ausschlafen. Aber es gab auch Tage, an denen sogar Schlägereien um die wenigen Plätze im Computerraum ausgetragen wurden. In Augenblicken wie diesen habe ich gemerkt, dass es sehr wichtig ist, viel über das Leben auf der Straße zu wissen, und die einzelnen Kinder mit ihrer Persönlichkeit und ihren Krisen kennen zu lernen.

Am Ende unseres Aufenthaltes, sozusagen als Abschluss des gesamten Projekts, haben wir im Patio eine Ausstellung der Webseiten gemacht. Diese Ausstellung stieß sowohl bei den Jungen als auch bei den Mitarbeitern auf großes Interesse. Es ist eine Sache, jemanden auf dem Foto zu erkennen, eine ganz andere jedoch, seine „historia'' zu lesen. Man liest nicht nur ihre Erfahrungen, sondern man findet hinter den Berichten auch neue Facetten ihrer Persönlichkeiten. Es sind Persönlichkeiten, von denen noch keine das 18. Lebensjahr vollendet hat, die aber trotzdem schon lange ihre Kindheit opfern mussten.

Meiner Meinung nach war dieses Projekt insgesamt ein großer Erfolg. Allein das Strahlen in den Augen der Jungen, die in der Ausstellung stolz ihren Freunden ihre Seiten präsentiert haben, hat mir gezeigt, dass wir unsere Ziele erreicht, und ihr Selbstwertgefühl gestärkt haben.

Die Arbeit mit den Straßenkindern hat mich geprägt und mir gezeigt, manche Dinge mit anderen Augen zu sehen. Ich hoffe, dass auch einige der Jungen, die durch ihre eigenen Erfahrungen geprägt sind, und um die Gefahren der Straße wissen, eines Tages anderen Straßenkindern helfen können.

Kolumbien habe ich als ein Land großer Gegensätze erlebt und Medellín als eine Stadt mit vielen Gesichtern - eine Stadt, die lebt.

Die großen Unterschiede zwischen arm und reich sind mir als Beobachter aus einer anderen Kultur besonders aufgefallen, und manchmal war es schwer, damit umzugehen. Aber es waren nicht nur die sichtbare Armut, sondern in erster Linie die Schicksale vieler Menschen, die mich schockiert und gleichzeitig sehr beeindruckt haben. Denn oft sind das Menschen aus armen Verhältnissen, die trotzdem viel zu geben haben, weil sie nie verlernt haben zu lachen und das Wenige, was sie haben, zu teilen.

Während meines Aufenthaltes durfte ich diese Gastfreundschaft der Menschen genießen und habe viele neue Freundschaften geschlossen. Darüber hinaus wurden mir verschiedene Hintergründe der Kultur des Landes bewusst, und ich konnte in vielen Gesprächen meine Spanischkenntnisse vertiefen.

Trotzdem habe ich manchmal eine heiße Dusche oder eine Laugenbretzel vermisst, aber jetzt, zurück in Deutschland, werde ich wohl noch lange den köstlichen kolumbianischen „Café con leche'' (Milchkaffee), das frische Obst, das überall an der Straße verkauft wird, und natürlich „arepas'' (Maisbrot) sehr vermissen.

Aber das ist nicht alles: Dieses Land hat mich wirklich begeistert und vor allem die Lebensfreude vieler Menschen hat mich sehr beeindruckt.

Cornelia Korsch