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Das Projekt Patio 13 / Das Projekt in der Presse / Stuttgarter Zeitung 1.8.2007 van Bebber

 

 

Kolumbiens Pädagogik der Straße soll hierzulande helfen
 
Ein neuer Studiengang in Heidelberg bereitet Lehrer und Sozialarbeiter auf den Unterricht von Straßenkindern vor
 
In den Slums von Kolumbien hat die Pädagogische Hochschule Heidelberg eine eigene Didaktik für Straßenkinder entwickelt. Nun soll das Wissen Pädagogen in deutschen Problemvierteln helfen.

Von Frank van Bebber

Wenn Katrin Kastner demnächst als Referendarin ihre erste Stunde in einer Grund- und Hauptschule erteilt, dürfte sie auf Schwänzer, Schläger und Störer besser vorbereitet sein als manch älterer Kollege. Die 24-Jährige aus Heidelberg hat fast ein Vierteljahr auf den Straßen Kolumbiens unterrichtet und sich anschließend an der Pädagogischen Hochschule (PH) Heidelberg mit den Kindern aus den Slums Südamerikas beschäftigt. Mit einem geordneten Schulalltag hat der Lehrerjob dort nichts zu tun. "Lesen und Schreiben kann man nicht voraussetzen", sagt Kastner. "Jede Stunde muss für sich allein Sinn ergeben, nächste Woche sind andere Kinder da."

Ihr Professor Hartwig Weber ist seit 30 Jahren immer wieder in Kolumbien. Sämtliche Grundsätze deutscher Klassenzimmerpädagogik seien im Staub der Städte außer Kraft gesetzt, sagt der PH-Professor für evangelische Theologie und Religionspädagogik. Die Schüler seien weder im gleichen Alter noch auf dem gleichen Kenntnisstand. Kaum jemals treffe sich die gleiche Gruppe wieder.

Das klingt nach ferner Entwicklungshilfe. Doch die Richtung des Wissensflusses ist nicht mehr so eindeutig, seit auch Deutschland über den Umgang mit sozialen Brennpunkten, Schulverweigerern und Klassen ohne gemeinsame Muttersprache diskutiert. "Wir profitieren von den Schulen in Kolumbien. Sie haben einen Vorsprung im Umgang mit solchen Problemen", sagt Weber.

Noch dieses Jahr beginnt unter der Federführung der PH Heidelberg der erste Masterstudiengang für Straßenkinderpädagogik. Vier Semester geht es um Lehren und Lernen in instabilen Gruppen. Das Angebot wendet sich ausdrücklich an Lehrer und Sozialarbeiter in Deutschland. Auch karitativ orientierten Helfern soll Pädagogik vermittelt werden. Mit Salesianern in Berlin-Marzahn entwickelt Weber eine Partnerschaft. Kontakt gibt es zu Initiativen für Straßenkinder in Mannheim, Stuttgart und Freiburg.

Mit dem neuen Fach bereitet sich die PH auch darauf vor, dass mit der Zahl der Schulkinder der Bedarf an Lehramtsstudenten sinkt. Anders bei der Straßenpädagogik: Unicef schätzt, dass sich auf den Straßen der Metropolen der Welt rund 100 Millionen Kinder durchschlagen. Katrin Kastner hat in Kolumbien rasch gemerkt, dass die Reflexe deutscher Schulpädagogik dort wenig taugen. Vor einem Eintrag ins Klassenbuch fürchtete sich hier niemand. Hausausaufgaben kann es für Kinder ohne Zuhause nicht geben. Dagegen durfte Neugier vorausgesetzt werden. Die Kinder kommen freiwillig, entweder in einen als Schule genutzten Hof oder auf einen öffentlichen Platz, auf dem sich Weber und die Studenten niederließen.

Auf dem Stundenplan steht durchaus Anspruchvolles. Kastner unterrichtete Physik. Eine Stunde widmete sie den Spektralfarben. Eine Herausforderung, wenn weder Vorwissen noch Schriftliches eine Rolle spielen dürfen. Kastner sprach über den Regenbogen und ließ durch ein Prisma schauen. Dabei zeigen die Kinder der Straße auch unerwartete Fähigkeiten. Weber berichtet: "Sie sind in Mathematik besser als Gleichaltrige in der Schule." Rechnen ist eine Frage des Überlebens, wenn man bettelt, jobbt, Sachen verkauft oder mit Drogen handelt. "Mathematik findet auf der Straße ständig statt", sagt Weber. Lebensnähe erlebte Kastner, als sie das Thema Stromkreise aufgriff. Ein Junge kannte sich aus. Er zapfte das Stromnetz an. Seit sechs Jahren entwickelt Weber in einem Projekt mit Partnern in Deutschland und Kolumbien Ansätze für den Unterricht der Kinder, die unter freiem Himmel oder in Elendsvierteln leben. Seit eineinhalb Jahren gibt es an der PH Heidelberg das Kompetenzzentrum Patio13 gemeinsam mit der PH Freiburg und den Universitäten Freiburg, Heidelberg, Medellín und Bogotá. Benannt ist es nach jenem Innenhof in Copacabana bei Medellín, in dem die Kinder unterrichtet werden. Bevor sie dort in den Hof kommen, geben sie mögliche Waffen an der Pforte ab.

"Wir beginnen immer mit einem Gespräch über die Narben", sagt Weber. Die Kinder sprächen gern über die Geschichten, die ihre Haut erzählt. Weber sagt, es gehe um die Frage "Was müssen sie können, damit sie in der Schule oder außerhalb Fuß fassen?" Darum gibt es für die schulfernen Kinder keinen Lehr-, sondern einen Kompetenzplan.

Die Patio-Leute sollen bei Erfolg ein Zertifikat ausgeben, das die Rückkehr ins klassische System erleichtert. Weber setzt auch auf politische Effekte: "Lehrer sind Multiplikatoren." Wer einmal auf der Straße unterrichtet habe, der trage das Thema weiter. Weber ist überzeugt davon, dass Katrin Kastner und ihre Kommilitonen "anders Lehrer sein werden als vorher".

http://www.patio13.de